Die Corona-Pandemie hat den Fußball – trotz Geisterspiele – noch immer fest im Griff. Insbesondere die Vereine der 3. Liga leiden unter finanziellen Einbußen aufgrund fehlender Zuschauereinnahmen bei gleichzeitig fortgesetztem Spielbetrieb. Wie bei vielen anderen Vereinen gab es daher auch bei unserer Eintracht verschiedene Aktionen und Möglichkeiten den Verein unmittelbar zu unterstützen – unter anderem verfasste die Fanabteilung den Aufruf „Ich pfeif auf die Kohle, der Eintracht zum Wohle“, welcher von zahlreichen Fanclubs unterstützt wurde und zum Verzicht auf die Erstattung der Kosten von Dauerkarten- und Tageskarten aufrief. Auch wir unterstützen diesen Aufruf inhaltlich, müssen uns jedoch kritisch zum Unterstützer*innenkreis äußern.
Wir haben lange überlegt, wann und wie wir unsere Kritik formulieren, da wir weder mitten in der Hochzeit der Pandemie, wenn Verein und wir alle ohnehin mit verschiedenen neuen Rahmenbedingungen konfrontiert sind, ein solch wichtiges und doch in Braunschweig auch heikles Thema ansprechen wollten – allerdings auch nicht schweigen konnten. Dafür ist es eben zu wichtig. Der jetzige Zeitpunkt, an dem der Re-Start vollzogen wurde, sehr viele Anhänger*innen ihren Verzicht mitgeteilt und somit die Eintracht immens unterstützt haben und sich eine erste neue Normalität im Corona-Alltag eingestellt hat, erschien uns hingegen passend.
Wie bereits dargestellt, unterstützen wir den Aufruf inhaltlich und haben uns diesem selbst angeschlossen, in Form des eigenen Verzichts von jenen, die finanziell in der Lage dazu sind. Stören tun wir uns jedoch an Teilen der Unterstützer*innen, die seitens der Fanabteilung offensichtlich unkritisch ergänzt wurden. So finden sich in dieser Auflistung als dem mitunter extrem rechten Spektrum zuzuordnende Fanclubs wie die Schluckspechte, die Alten Kameraden oder die Exzess Boys, welche in der Vergangenheit wiederholt und über Jahre hinweg innerhalb wie außerhalb des Stadions mit diskriminierenden Aktionen unterschiedlichster Art (rassistisch, sexistisch, homophob, rechtsextrem, …) auffielen und den Ruf unseres Vereins beschädigten.
Wir hatten bereits in einem früheren Artikel über einige dieser Gruppierungen berichtet (wie vor uns schon andere immer wieder) und sehen es insbesondere angesichts aktueller Geschehnisse als hoch relevant an, auch solche Formen der symbolischen Akzeptanz rassistischer Gruppierungen und Inhalte zu problematisieren. Denn: Eine Wurzel unkritischen Hinnehmens der Präsenz von Rechtsextremen in der Mitte unserer Kurve ist eben diese Akzeptanz ihrer Gruppierungen als Teil der Fanszene bei solchen Aktionen. Stoßen sie niemals auf Widerspruch und Signale der Nichtakzeptanz, welche die Fanabteilung und andere Gruppierungen problemlos auf Basis der elementaren Werte unserer Eintracht aufbauen könnte, werden sie weiterhin jede Gelegenheit nutzen, sich in eine Reihe mit ganz normalen Fanclubs zu stellen – vielleicht auch eurem eigenen – und sich so, unter dem Deckmantel der Solidarität und des guten Willens, den Schein der Normalität anzueignen. Gleiches gilt für die Teilnahme der „Fetten Schweine“ beim Cattiva-Turnier für den guten Zweck. Dass sie es bisher immer wieder schafften, zeigt bereits die große Akzeptanz auf verschiedensten Ebenen.
Und Schweigen heißt hierbei Akzeptanz – was bei den aktuellen Black Lives Matter Protesten sichtbar wird, gilt auch abseits dieser speziellen Thematik. Es bedarf Widerspruch, Kritik und Aufmerksamkeit, wenn Rechtsextreme und Rassisten den Weg in die Mitte der Gesellschaft suchen, sich dort niederlassen und ihre diskriminierenden Denk- und Handlungsmuster auszuleben versuchen – und es immer wieder auch erfolgreich und ungestört tun können. Für die meisten von uns, die vermutlich weiß (und männlich und heterosexuell) sind, sind rechtsextreme, frauenverachtende, homophobe Gruppierungen und Inhalte auf den ersten Blick wenig bedrohlich und werden daher gar nicht problematisiert. Oftmals nehmen viele Menschen übergriffige und diskriminierende Situationen auch gar nicht erst wahr, weil sie solche Momente auf Grund ihrer individuellen Privilegien nicht erleben und sie im für sie unsichtbaren Raum geschehen – oder sie erkennen die jeweilige Diskriminerung nicht sofort als das, was sie ist, weil ihnen aufgrund ihrer Sozialisation in der Mitte einer ebenso nicht von Diskriminierung freien Gesellschaft ein homophober Spruch eher ein Grinsen, als einen grimmigen Blick ins Gesicht fahren lässt. Insbesondere im Fußballstadion sind solche diskriminierenden Inhalte leider noch immer Alltag und bedürfen daher einer besonderen Sensibilisierung, damit Rassismus, Homophobie, Sexismus und andere Diskriminierungen nicht als „witziger Spruch“ wahrgenommen, sondern als „problematische Äußerung“ erkannt und ihre lokale Urheber für eben solches Verhalten sanktioniert werden.
Eben deshalb dieser Text. Wir dürfen nicht vergessen, welche Gruppen und politischen Meinungen in der Mitte unserer aktiven Fan- bzw. insbesondere Ultraszene fest verwurzelt und bestens vernetzt, aktiv sind. Angesichts dieser Zustände ist es von besonderer Bedeutung, dass eine breite Masse nicht-ultraorientierter Fanclubs und Einzelpersonen ihre Kritik an Fanabteilung und den Verein richten und für eine dortige Sensibilisierung hinsichtlich der Gefahren und Risiken rechtsextremer Gruppen innerhalb unserer Fanszene sorgen – und innerhalb der Fanszene das Thema ansprechen, diskutieren, sichtbar machen. Der Kampf um die Deutungshoheit innerhalb der Fanszene darf nicht widerstands- und kritiklos aufgegeben werden bzw. die aktuellen Zustände nicht unkritisch anerkannt werden. Wo sich Rechtsextreme im Zentrum einer breiten Masse akzeptiert fühlen, werden sie ihren Einfluss versuchen auszuweiten und ihre politische Gesinnung ausleben. Auch wenn viele von euch nicht selbst Zielscheibe diskriminierender Äußerungen sind, ist es unser aller Aufgabe uns eben solchen Meinungen entgegen zu stellen und uns im Sinne der menschlichen Grundwerte sowie der zentralen Werte unseres Vereins für ein diskriminierungsfreies Stadion engagieren – auf unterschiedliche und vielfältige Art und Weise!